siehe Einführung siehe Künstler siehe Beispiele siehe imbenge siehe Home 

© NELE STRÖBEL

imbenge-dreamhouse

imbenge-dreamhouse

Statement des Ethnologen Dr. S. Eisenhofer:
Telefondraht und das "neue" Südafrika

 
Telephone wire art

In Südafrika gehören sie seit einigen Jahren zum gewohnten Straßenbild größerer Städte und vielbefahrener Landstraßen: Frauen und Männer, die aus buntem Telefondraht geschaffene Flechtwerke zum Verkauf anbieten. Niemand weiß so genau, wer als erster auf den Gedanken gekommen ist, traditionelle Flechttechniken und Formen mit dem neuen, "fremden" Material zu bewältigen. Behälter und Abdeckungen von Gefäßen etwa, die lange Zeit kunstvoll aus einheimischen Pflanzen in Naturfarben geflochten wurden, werden nun nicht minder meisterhaft aus Telefondraht in einer einst unvorstellbaren Farbenpracht komponiert. Vermutlich waren es Wachmänner in den Städten, die als Mittel gegen Langeweile und für einen zusätzlichen Nebenverdienst als Pioniere dieser neuen Kunstform gelten dürfen.

Jedenfalls wurden diese Arbeiten wegen ihrer an Op Art erinnernden Muster und wegen des sich in ihnen manifestierenden Einfallsreichtums gerade in den letzten Jahren national und international zu einer Art Markenzeichen kreativen ästhetischen Schaffens in einem neuen Post-Apartheid-Südafrika. Die in den ersten Jahren hergestellten Telefondraht-Arbeiten glichen dabei noch mehr den traditionellen Arbeiten aus Pflanzenfasern, während die Werke der letzten Jahre die Farbigkeit des neuen Materials bewusster für neue Musteranordnungen nutzen.

Telefondrahtarbeiten wurden und werden selten als "Kunst um der Kunst willen" geschaffen und entstammen anderen Referenzsystemen als westliche Kunst. Gerade deshalb stehen sie mit ihrem schier unerschöpflichem Vorrat an spontanen Einfällen und originellen Ideen im Zuge der "African Renaissance" für das Wiederentdecken und die Würdigung lange verdrängter Traditionen, ignorierter Fähigkeiten und nicht wahrgenommener Kreativität der schwarzen Bevölkerungsgruppen.

Beim Aufbau einer Post-Apartheid-Gesellschaft reflektieren sie als Ausstellungsstücke in südafrikanischen Museen aber auch das Um- und Neuschreiben von jahrzehntelang verleugneter Kunstgeschichte sowie den Abbau von Hierarchien. Unmittelbar neben den Werken weltberühmter Künstler präsentiert, sind sie Zeichen für das gleichberechtigte Nebeneinander von Werken westlich-urban geprägter Künstler und solcher, die von Menschen geschaffen wurden, denen unter der Apartheid der Zugang zu Bildung, zu internationalen Karrieren und oft sogar zu grundlegenden Materialien verwehrt worden ist.

Darüber hinaus steht Telefondraht im südlichen Afrika als Symbol für die Kommunikationsbereitschaft mit Neuem und Fremdem sowie die Fähigkeit, sich auf zunächst Unvertrautes schöpferisch einzulassen. Gerade an Arbeiten mit diesem Material zeigt sich die kreative lokale Aneignung globaler Phänomene. Sie sind ein augenfälliger Beleg dafür, dass sich Verschiedenartigkeit und Vielfalt keineswegs zwingend und überall zugunsten von identifikationsloser Gleichmacherei auflösen müssen, sondern dass gerade auch durch aktuelle Verflechtungen faszinierende und unverwechselbare neue Phänomene entstehen können.

Telefondraht ist keinesfalls nur ein Sinnbild für Fragen nach dramatischen Umwälzungen in der Gesellschaft Südafrikas, sondern ebenso stark auch für unsere eigene Gesellschaft und die gesamte westliche Welt. Denn dieses Material evoziert in einer Zeit, in dem es zunehmend durch Glasfasern und andere modernste Technologien ersetzt wird, ganz allgemein Fragen nach Prozessen des Herauswachsens aus alten Strukturen, nach Übergängen von der Industriegesellschaft in eine Informationsgesellschaft, vom Maschinen- ins Medienzeitalter. Telefondraht verkörpert damit sowohl regionale wie auch globale Umbrüche sowie die immer stärkere Kurzlebigkeit moderner Phänomene.

Telefondraht steht für eine Vernetzung der Welt. Doch wie und wo fand und findet diese statt? Wenn sie sich nur auf die kommunikationstechnologische und ökonomische Ebene beschränkt, kommen sich die Menschen nur scheinbar und bedingt näher. Ist es nicht wichtiger, diese Vernetzung auch auf anderen wesentlichen Ebenen voranzutreiben?

Das "imbenge-dreamhouse"-Projekt mit seinen Teilnehmern aus verschiedenen Kontinenten mit unterschiedlichsten Hintergründen und Selbstverständnissen ist ein solcher Versuch zeitgemäßer globaler Vernetzung. Es basierte auf gegenseitiger Kommunikationsbereitschaft, setzte sich mit den zahlreichen daraus erwachsenden Chancen aber auch Schwierigkeiten auseinander und zeigte schließlich, dass ernst gemeinte Dialoge wesentlich weiter führen als monologische "Überzeugungskriege".

Dr. Stefan Eisenhofer
Staatliches Museum für Völkerkunde
Leiter der Abteilung Afrika
nach oben