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© NELE STRÖBEL

imbenge-dreamhouse

imbenge-dreamhouse

Eine "moderne Wunderkammer der Kommunikation"

Wilhelm Christoph Warning

 

"Die grenzenlose Kommunikationsgesellschaft". So lautet der Titel zum Text, der das "Mobiltelefon Portal" von Siemens präsentiert.

"Die grenzenlose Kommunikationsgesellschaft": Das tönt wundersam optimistisch, verheißungsvoll und weltumspannend. So, als ob den Menschen nun die globale Verständigung geschenkt sei, dank der digitalen Technik, die der Konzern über den Erdball verteilt. Damit können die Menschen, wie es in Schillers "Ode an die Freude" heißt, endlich alle Brüder werden. Daneben haben die Designer ein Foto platziert. Es zeigt einen jungen Mann, der sich weit über eine hohe, glatte Steinmauer beugt und mit seinem ausgestreckten Arm ein Kind zu erreichen sucht, das sich auf der anderen Seite der Mauer ihm so weit es geht entgegenstreckt. Gleich werden sich ihre Hände berühren, der Kontakt wird hergestellt und alles Trennende zwischen den beiden Menschen überwunden sein. Das ist die klare Botschaft, die wir - bitte sehr - verstehen sollen. Wer da nicht dabei ist, sperrt sich aus, bleibt jenseits, ohne Kontakte, verschmäht die ausgestreckte Hand. Er weist sie zurück, verweigert die Kommunikation und hat nicht Teil an der "grenzenlosen Gesellschaft".

Bekanntlich entstammt der Begriff "Kommunikation" dem Lateinischen. Communicare aber bedeutet nicht nur "mitteilen", sondern so viel wie "jemanden an etwas teilnehmen lassen", auch "an etwas teilhaben", "Anteil nehmen", und, so wörtlich, "etwas mit als das seinige ansehen". Wer also im eigentlichen Sinn kommuniziert, teilt etwas von sich mit und teilt es mit dem anderen, indem dieser daran teilhaben kann. Wirkliche Kommunikation ist also ein komplexer, wechselseitiger Prozess auf vielen Ebenen und ein sehr intimer Austausch, der gegenseitiges Verstehen, Verständnis zwischen Sender und Empfänger voraussetzt. Wobei jeder gleichermaßen Sender wie Empfänger ist. Joseph Beuys hat dafür immer wieder eindrucksvolle Bilder gefunden, wenn er etwa energieleitende Materialien wie Kupfer verwendete oder eine Arbeit wie das "Erdtelefon" (1968) schuf. Wirkliche Kommunikation setzt deshalb voraus, dass jeder alle anderen daran Beteiligten nicht nur ernst nimmt, sondern in ihnen gleichwertige Partner erkennt, was bedeutet, auch die Andersartigkeit, vielleicht sogar Fremdheit des Gegenübers zu akzeptieren. Das ist nicht nur eine Frage der kulturellen und sozialen Prägung, sondern auch der inneren Sicherheit und Souveränität. Wer kommuniziert, macht sich und seine Sicht der Welt nicht zum Maß der Dinge, da er den anderen Menschen sonst ausgrenzen würde. Ausgrenzung aber ist das Ende jeder Kommunikation, jeder Teilhabe, jedes Anteil-Nehmens.

Das Projekt "imbenge-dreamhouse" ist in vielfacher Weise zu einem beispielhaften Projekt für Kommunikation geworden. Freilich nicht im Sinn der "grenzenlosen Kommunikationsgesellschaft", der "globalen Verbrüderung" dank digitaler Technik. Im Gegenteil: Derlei Bedeutungsmissbrauch führt die europäisch-südafrikanische Künstlerinitiative mit ihrer Arbeit geradezu ad absurdum. Denn es wirkt fast wie eine Ironie, dass der Initialfunke für die gemeinsame Arbeit ausgerechnet die bunten Telefondrähte der analogen Technik waren, die von der Post entsorgt wurden, weil das digitale, drahtlose Zeitalter Einzug gehalten hatte - eben der sogenannten "grenzenlosen Kommunikationsgesellschaft" wegen. Was also einst der Verbindung zwischen Gesprächspartnern diente, war nun - veraltet und aus einer schon verklingenden Welt stammend - überflüssig und damit zu Abfall geworden. Die Künstlergruppe kam genau über dieses Material in einen gemeinsamen - und natürlich "analogen" - Austausch miteinander und erfüllte dadurch den Begriff "Kommunikation" mit der ihm eigenen, wahren Bedeutung.

Sie macht damit sinnlich erfahrbar, was es heißt, am anderen und seiner Arbeit Anteil zu nehmen und ihn teilhaben zu lassen am jeweils Eigenen - auch und gerade über die Grenzen kultureller Verschiedenheiten hinweg. Gedanklich und körperlich, in, wie es so schön heißt, "Worten und Taten" - galt es doch, in Deutschland wie Südafrika die zwölf Aluminiumrahmen zu gestalten und zu einem Rundbau, einem überdachten Haus der Träume zusammenzuführen. Jeder und jede aus der Gruppe brachte seine spezifischen Fähigkeiten in das Projekt mit ein. Voraussetzung war die Bereitschaft, aufeinander zu hören und voneinander zu lernen. Kommunikation als eine Form von Gemeinsamkeit. Wechselseitig für das Ganze da zu sein, wird auch als Solidarität bezeichnet. Augustinus, der christliche Heilige - der übrigens aus Nordafrika stammte - hat diesen Vorgang in ein eindrucksvolles Bild gefasst:

"Man erzählt sich, dass die Hirsche, wenn sie in Herden einherziehen oder zum anderen Ufer hinüberschwimmen, sich gegenseitig die Last ihrer Geweihe auf den Rücken legen. Einer ist an der Spitze, der Nachfolgende legt dann seinen Kopf auf den Voranziehenden usw. - bis zum Ende des Zuges. Wenn der erste Hirsch aber, der die Last seines Geweihes selber trägt, müde geworden ist, schließt er sich dem Ende des Zuges an und sein Nachfolger übernimmt seine Aufgabe. Er selbst kann dann als letzter, wie die anderen, seinen Kopf auf dem Rücken des Vorangehenden ruhen lassen und sich so erholen."

Voraussetzung dafür ist selbstverständlich eine reibungslose Kommunikation, ein Hören aufeinander, ein gegenseitiges Akzeptieren, Vertrauen und die Fähigkeit, andere Botschaften oder Vorstellungen anzunehmen, was auch bedeutet, eigene Projektionen oder Ideen loszulassen. Gerade vor dem unterschiedlichen kulturellen Hintergrund der Teilnehmenden war das eine besondere Herausforderung.

Nun hätte sich dies in jedem anderen gemeinsamen Projekt vermutlich ähnlich dargestellt, solange es vom Willen zur wirklichen Kommunikation, zur wahren Gemeinsamkeit getragen wird. Hier aber zeugen sowohl die einzelnen Arbeiten wie auch das Gesamtkunstwerk von einer verblüffenden Übereinstimmung von Inhalt und Form. Denn bis in die Kleinigkeiten hinein beschäftigt sich alles mit dem übergeordneten Thema, der Kommunikation.

Ohnehin ist der Draht die geradezu perfekte Metapher dafür, zumal es sich hier um Telefondraht handelt. Er ist Sinnbild für Verbindung, denn er übermittelt Botschaften. Die Faszination dieser Eigenschaft zeigt sich etwa, wenn sich Kinder mittels zweier Blechbüchsen, die mit einem dünnen Draht verbunden sind, über die Entfernung von einigen Metern unterhalten. Plötzlich ist ein anderer stimmlich anwesend, der doch abwesend ist. Er ist unmittelbar mittelbar da. Man stellt sich den anderen vor, ergänzt vor dem inneren Auge, was man nicht sieht. Und man ist, wenn man nur stimmlichen Kontakt hatte und das Gegenüber dann plötzlich sieht, unter Umständen überrascht, weil Vorstellung und Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Draht verbindet - aber nur auf einer gleichsam "unkörperlichen" Ebene. Hier im Kunstwerk, im "imbenge-dreamhouse" wird der Draht plötzlich "körperlich" benutzt. Er verliert seine abstrakte Dimension, die er als telefonisches Verbindungskabel hatte, und wird zum gewebten Bild, zur poetischen Farbenlinie, zur verknäulten Verdichtung. Er verdeutlicht Erzählung, führt Erinnerungen vor Augen, wird zum verschlungenen Weg, zur romanhaften Linie, die auftaucht, verschwindet, mit anderen sich verflicht, wieder auftaucht und sich dann erneut verknotet.

Hier wird der Draht dank der traditionellen Zulu-Flechtkunst, imbenge, zum Träger der Träume. Der Phantasien, der Vorstellungen, der gedachten, geträumten Welten. Wird gar zur poetischen Leitung durch Zeiten, in tiefe Vergangenheiten zurück oder ferne Zukunften. Träumend erschufen Götter die Welt, einst, in jenen unvordenklichen Tagen, und es gilt sie zu erneuern durch die Kraft des Träumens und des poetischen Benennens. Auch das ist eine Art der Kommunikation, des Austausches, der an die Mythen erinnert, die seit Alters her erzählt werden - in allen Kulturen. Zeit ist nötig dafür, Zeit zu hören und zu erzählen, abzugeben und aufzunehmen. Der Stuhl im "imbenge-dreamhouse" deutet es an: Wer sich setzt, hat Zeit. Bleibt. Hört. Erzählt. Ist Gast und Gastgeber. Nimmt Menschen auf unter seinem Dach. Das Dach schützt. Auch hier zeigen sich Formen, gewonnen aus digitalen Welten, gestaltet von der Initiatorin, der Münchner Künstlerin Nele Ströbel, die auch den Stuhl einbrachte. Die digitalen, virtuellen Welten sind also nicht ausgegrenzt, sondern als einer ihrer Bestandteile hineingenommen in die Kommunikation.

Nele Ströbel beschäftigte sich immer wieder mit dem Thema Haus, mit seinem Werden und Verfall, mit dem Haus als Zuhause, als Schutzraum, als Ort der Energie, aber auch der Einsamkeit. Zum Beispiel in der Arbeit "inside_out / eine sugar_cube-Installation" (2002). Virtuelle Häuser aus der Karibik zeugen hier vom kolonialen Raubbau-Reichtum weniger Menschen, der schon vor Jahrzehnten untergegangen ist, aber bis heute die Armut vieler hinterlassen hat. Nun Afrika, und auch hier das Haus. "Ein Gefäß", sagt sie, "für Kommunikation". Genau das ist es, was Nele Ströbel interessiert: Das Haus als vorübergehender Lebensraum, als Laboratorium, als außerordentlich komplexes und sich fast gänzlich selbst organisierendes dynamisches System - im sozialen, im politischen, im bildnerischen, sogar im mythisch-religiösen, kurz: im kommunikativen Raum. Belebte sie die Installation "Chambre d'amis - Das rote Zimmer" (2003) - eine Arbeit zum Bedeutungswandel von öffentlichem und privatem Raum - noch allein, stand dieses Mal die Zusammenarbeit, der Austausch im Vordergrund. Das gemeinsame Projekt ist ausdrücklich als Ort der Versammlung konzipiert, als eine Arbeit, die durch die Kommunikation erst entsteht.

Ein rundes Haus. Rund, weiß die Psychologie, ist kommunikationsfördernd. Rund nimmt Rangordnungen. Wie der runde Tisch. Keiner sitzt an der Stirnseite. Es gibt kein Wichtig und Unwichtig. Jede Erzählung, jeder Traum gilt. Ist gleichwertig und kann nach außen dringen. Transparent sind die Wände, Flechtwerk aus Draht eben, dass das Innen auch Außen gelten lässt und umgekehrt. Auch das ein Zeichen der Durchlässigkeit. Man kann innen hören, was außen geschieht und umgekehrt, weil die Wände filigrane Flechtwerke sind. Mit allen verdrahteten Verknotungen und Verdichtungen. Der Draht wird zum Netzwerk. Auch dieser Begriff ist vielschichtig und verweist etwa auf Kommunikation und Solidarität, auf Hilfe und Gemeinsamkeit. Draht bedeutet freilich auch Abgrenzung. Hier ein Innen, dort ein Außen. Abgrenzung kann Schutz bedeuten. Ausgrenzung allerdings ist das Ende der Kommunikation. Drahtzäune umgeben Gärten, Siedlungen, teilen Länder, markieren Lager. Machen aus Menschen Gefangene. Schaffen verschiedene Klassen. Unterdrücker und Unterdrückte. Auch das wird als historische Hypothek zwischen Europa und Afrika, Teil der Kommunikation des Kunstprojekts. Es kommt im Werk zur Sprache, ohne dass es ausdrücklich benannt werden müsste. Die Begegnung gelingt nur im Bewusstsein der durch den Kolonialismus und Postkolonialismus unterschiedlichen und gleichzeitig gemeinsamen, belasteten Geschichte. Auch der Geschichte der Kunst, mit all ihren nun schon hundertjährigen Missverständnissen.

Der Journalist, Schriftsteller und Afrikakenner Al Imfeld hat über den Dialog zwischen den beiden Kontinenten geschrieben, es gehe darum, Bezüge herzustellen. "Alles dreht sich an Fäden von Ariadne um eine Herausführung aus der Isolation. Das große Problem ist nicht das Unverständnis von etwas total Anderem, sondern die Bezugslosigkeit von total vereinsamten Menschen. Zusammengeführte und Verknüpfte können sich im Kampf gegen Inhumanität und Totalitarismus wie tausendfach vermehren. Wird einer zum Schweigen gebracht, redet an einem anderen Ort ein anderer oder eine andere gleich weiter."

Treffender kann man kaum ausdrücken, welche Wirkung ein Projekt wie die "moderne Wunderkammer der Kommunikation" das "imbenge-dreamhouse" entfalten kann.


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